Parteichef Meuthen wollte die gesetzliche Rentenversicherung abschaffen. Doch ihm droht beim Parteitag eine schwere Niederlage. Die Neuausrichtung der AfD übernimmt der Thüringer Landeschef Höcke.
Für Jörg Meuthen war die Sache klar: Die gesetzliche Rentenversicherung gehöre abgeschafft, da sie nicht finanzierbar sei. Mit dieser Forderung wollte der AfD-Chef in den Bundestagswahlkampf ziehen und glaubte die vermeintlich wirtschaftsliberale Partei hinter sich. Doch es kam anders. Der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem beobachtete "Flügel" gab contra – und verhinderte Meuthens Pläne.
Das Comeback des "Flügels"
Nun steht zum Parteitag am Wochenende in Kalkar ein Leitantrag zur Sozialpolitik zur Abstimmung, dessen Feder zwar nicht ausschließlich der "Flügel" führte, der Meuthen allerdings als Parteichef schwach aussehen lässt. Mit seinen Vorstellungen hat das Konzept nichts mehr zu tun. Sollten die Delegierten dem Antrag zustimmen, käme die Entscheidung einem Sieg des Thüringer Landessprechers Björn Höcke über den Vorsitzenden gleich.
Höcke war im Laufe des Jahres in die Defensive geraten: Unter Eindruck der drohenden Beobachtung der Gesamtpartei durch den Verfassungsschutz hatte Meuthen die Auflösung des "Flügels" durchgesetzt und Höckes Kompagnon Andreas Kalbitz aus der Partei geworfen. Das Comeback des Thüringer Landeschefs könnte darin bestehen, den Bundesvorsitzenden in die Schranken zu weisen – und gleichzeitig die Partei von ihren radikal wirtschaftsliberalen Wurzeln zu lösen.
Abkehr vom Wirtschaftsliberalismus
Denn nun, so hat es den Anschein, widmet sich die Partei ganz Höckes vorgeblichen Plänen, "die sozialen Errungenschaften von 150 Jahren Arbeiterbewegung gegen die zerstörerischen Kräfte des Raubtierkapitalismus zu verteidigen", wie er es 2017 bereits formulierte. Der Bruch mit dem Rentensystem, wie ihn die Partei einstmals anstrebte, ist vom Tisch: An seine Stelle sollen Reformpläne treten, die "Sozialstaat", "soziale Marktwirtschaft" und "Solidarität und gegenseitige Hilfe innerhalb unseres Volkes" favorisieren.
Die Wurzeln dieser Reformpläne hat die Tageszeitung "Welt" in der Marx-Rezeption der Neuen Rechten ausgemacht: Die habe mit "den Emanzipationsvorstellungen der Linken" nichts gemein, vielmehr sehe sie in einer zentralen Figur des spanischen Faschismus ihren Gewährsmann für die "Überwindung der gesellschaftlichen Teilung, auf die es wieder hinzuarbeiten gelte". Auch wenn die Idee von "Enteignung und Verstaatlichung" in der Partei weiterhin Widerspruch hervorrufe, sei sich die Parteirechte einig, den Staat in zentralen Bereichen stärken zu wollen.
Forderung: 2,1 Kinder pro Frau
Anleihen dieses Gedankens finden sich auch im Leitantrag zum Parteitag, der den Zielen des Parteivorsitzenden zuwiderläuft. Zwar hat sich Höcke mit seiner Forderung nach einer "Staatsbürger-Rente" für Deutsche nicht durchsetzen können, dafür ist eine Verschlankung des Beamtenwesens vorgesehen, die Meuthen einen Kompromiss signalisieren dürfte. Ansonsten ist aber wenig Entgegenkommen gegenüber der wirtschaftsliberalen Parteiströmung zu spüren.
Vielmehr soll das bestehende Rentensystem mit Familienpolitik gestärkt werden. Jede Frau, so stellt es sich die Partei vor, solle dafür künftig im Schnitt 2,1 Kinder bekommen, um das Problem der immer weniger werdenden Beitragszahler bei gleichzeitig immer mehr Empfängern zu beheben. Dann sei auch keine Zuwanderung von Menschen aus dem Ausland notwendig, da ohnehin – so die Behauptung – "der überwiegende Teil dieser Migranten (...) dauerhaft auf staatliche Transferleistungen angewiesen sein" werde.
Völkischer Nationalismus als Programm
Die angepeilte Steigerung der Geburtenrate sei hingegen die "einzige Möglichkeit zum Erhalt unserer Sozialsysteme, aber auch zur Bewahrung unserer Kultur und zum Fortbestand unseres Volkes", wie es der Leitantrag formuliert. Der völkische Nationalismus von Höckes vorgeblich aufgelöstem "Flügel" wäre mit dem Antrag also endgültig in der Programmatik der Partei angekommen. Das würde Meuthens Position enorm schwächen.
Denn bislang konnte sich der etwas moderatere Teil der AfD darauf zurückziehen, dass der "Flügel" zwar eine Strömung in der Partei sei, das Grundsatzprogramm aber eine andere Richtung vorgebe. Das schien auch Meuthens Abwehrstrategie gegenüber einer drohenden Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz zu sein. Denn für die Behörde ist die Frage zentral, ob die Rechtsextremen des Höcke-Lagers Einfluss auf die Gesamtpartei nehmen.
Es wird also über mehr als nur ein Rentenkonzept abgestimmt. Der Antrag, sollte er so beschlossen werden, würde den Vorsitzenden Meuthen beschädigen, seiner Rentenstrategie eine Abfuhr erteilen und gleichzeitig die Außendarstellung gegenüber dem Verfassungsschutz unterlaufen. Der "Flügel", angeblich aufgelöst, wäre gestärkt, der Vorsitzende angezählt. Für Höcke wäre es ein Sieg auf ganzer Linie.
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