Dass die Kanzlerin hilfesuchend in die Runde blickt, weil ihr etwas nicht mehr einfällt, erlebt man nicht alle Tage. Aber es sind ja auch besondere Tage, vielmehr Wochen und Monate, seitdem die Corona-Pandemie Deutschland beherrscht. Und dann kann es eben selbst Angela Merkel passieren, zumal nach mal wieder ellenlangen Beratungen mit den Ministerpräsidenten, dass sie plötzlich hängen bleibt.
Zum gebotenen Verhalten gehört, sagt sie bei der anschließenden Pressekonferenz, auch für Schüler das Maske-Tragen, das Abstandhalten – und dann ist sie blank. »Eins fehlt mir gerade nach den vielen Stunden«, sagt Merkel. Rechts von ihr sitzt Berlins Regierungschef Michael Müller, aktuell Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), links von ihr der Vize-Vorsitzende Markus Söder, Bayerns Regierungschef. Einer von ihnen, es ist nicht genau zu verstehen, raunt ihr nun zu: »Hygieneregeln«. Ja richtig, dankeschön!
Und so kann Merkel ihre Aufzählung beenden – und schließlich zumindest eine klitzekleine frohe Botschaft verkünden: Ja, man verschärfe nochmals die Maßnahmen, um dann aber ab 23. Dezember zumindest wieder so weit zu lockern, dass die Bürger Weihnachten sowie Silvester und Neujahr ein wenig genießen könnten.
Rund siebeneinhalb Stunden haben Merkel und die Ministerpräsidenten zuvor konferiert. Diesmal sollte ja alles besser werden als vor 10 Tagen. Zur Erinnerung: Die letzte Beratung am vorvergangenen Montag war einigermaßen chaotisch verlaufen und endete schließlich beinahe ergebnislos, weil sich ein Großteil der Länderchefs vom Kanzleramt übergangen fühlte. Anders als in der Vorbereitungsrunde der Staatskanzleichefs mit dem Kanzleramt am Vortag vereinbart, enthielt die Beschlussvorlage aus dem Hause Merkel plötzlich doch etliche Verschärfungen, die in der Runde schließlich fast komplett wieder gestrichen wurden.
Merkels etwas patziger Vorschlag, wonach die Länder dann ja gerne selbst mal die Vorbereitung übernehmen könnten, wurde prompt umgesetzt: In mehreren Formaten beriet die Länderseite in den vergangenen Tagen unter Führung des MPK-Vorsitzlands Berlin, erst dann wurde das Papier der Ministerpräsidenten mit dem Kanzleramt abgestimmt.
Ob das der Sache wirklich dienlich war? Von einem »langfristigen Konzept«, das Berlins Regierungschef Michael Müller vor zehn Tagen vollmundig für diese Runde angekündigt hatte, ist man jedenfalls auch am Ende dieser Beratungen weit entfernt. Und man sitzt nach der Länder-Vorbereitung noch länger zusammen als anderthalb Wochen zuvor.
Zäh geht es an diesem Mittwoch zu – inklusive einer etwa 15-minütigen Unterbrechung gegen 16 Uhr. Da hat man sich bei der Debatte um einen zusätzlichen Inzidenz-Warnwert über den bisher geltenden 50 Neuinfektionen pro Woche auf 100.000 Einwohner so sehr verhakt, dass Merkel eine Pause einberuft.
Ein Novum. Aber auch das zeigt, wie sehr selbst der unermüdlichen Kanzlerin nach acht Monaten Pandemie und zig Runden dieser Art die Kräfte schwinden.
Und es geht auch in dieser Debatte wieder ziemlich durcheinander: Dass Merkel den Vorschlag nach einer höheren Inzidenz-Stufe erstmal hartnäckig zurückweist, bringt selbst ihren engsten Länder-Verbündeten auf. Bayerns Ministerpräsident Söder, in Sachen Corona festes Mitglied im Team Merkel, spricht nun von einem »Eigentor des Bundes«. Die Sorge der Kanzlerin, die Länder wollten mit dem zusätzlichen Wert nur die bislang geltenden Zwangsmaßnahmen ab 50 Neuinfektionen aufweichen, lässt auch Söder nicht gelten.
»Dann sag' ich eben in der Pressekonferenz, dass mir das zu wenig ist«
Nach der Beratungspause lenkt Merkel schließlich ein, für Hotspots mit über 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern werden zusätzliche Maßnahmen beschlossen.
Die Zahlen, darin sind sich alle in der Runde einig, sind nach wie vor viel zu hoch, das Ziel, die zweite Corona-Welle zu brechen, ist bislang nicht gelungen. Dass möglicherweise noch in diesem Jahr mit dem Impfen begonnen werden kann, hilft da wenig.
Bayerns Ministerpräsident wäre deshalb wie die Kanzlerin schon für weitere Verschärfungen in der letzten MPK gewesen, diesmal wählt der CSU-Chef Teilnehmern zufolge gleich zu Beginn der Beratungen martialische Worte: »Wir dürfen keine Zeit verlieren«, sagt er. »Die Todeszahlen sind aktuell so hoch, als würde jeden Tag ein Flugzeug abstürzen.«
Auch wenn die Kanzlerin dieses Bild nicht wiederholt – genauso sieht sie es. Und auch diesmal würde Merkel an der einen oder anderen Stelle gerne mehr und härtere Maßnahmen durchsetzen, auch wenn auf der abschließenden Pressekonferenz davon keine Rede mehr ist.
Aber in der Runde sagt die Kanzlerin das ganz offen, beispielsweise bei der Schuldiskussion. Merkel ist es allerdings auch ein bisschen leid und es ermattet sie offenbar, immer die Treiberin sein zu müssen. Dann übernehme man eben den Schul-Vorschlag der Länder, sagt sie Teilnehmern zufolge, »aber dann sag' ich eben in der Pressekonferenz, dass mir das zu wenig ist«. Dazu kommt es nicht, weil man sich schließlich doch auf einen Kompromiss einigt.
Im Kern beschließt die Runde folgendes:
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Regeln für Weihnachten: Ab dem 23. Dezember sollen Treffen »im engsten Familien- oder Freundeskreis« möglich sein, und zwar bis maximal zehn Personen insgesamt. Kinder bis 14 Jahre sollen hiervon ausgenommen sein. Die Ausnahmeregelung soll bis zum 1. Januar gelten.
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Privates Böllern zu Silvester wird nicht verboten, öffentlich veranstaltetes Feuerwerk und das Böllern auf belebten Straßen und Plätzen aber schon. Bund und Länder empfehlen den Bürgern zudem, auf Silvesterfeuerwerk in diesem Jahr lieber zu verzichten.
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Die Länder wollen bei den Schulen am Präsenzunterricht festhalten. Ein Hybrid- oder Wechselunterricht soll in Hotspots ab dem neuen Grenzwert von 200 Infektionen auf 100.000 Einwohner in sieben Tagen ab der 8. Klasse möglich sein – aber nicht bundesweit. Merkel hatte vergeblich auf weitergehende Schritte gedrungen. Unter anderem MPK-Chef Müller und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer pochten Teilnehmern zufolge aber auf ihre Zuständigkeit. Die Mehrheit der Länderchefs bezweifelt, dass Schulen ein Infektionstreiber sind.
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Gastronomie, Freizeit- und Kultureinrichtungen bleiben geschlossen. Die staatlichen Hilfen für vom Teil-Shutdown betroffene Firmen, Einrichtungen und Menschen sollen im Dezember fortgeführt werden.
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Für den Groß- und Einzelhandel verständigte sich die Runde auf ein abgestuftes Verfahren: Bei mehr als 800 Quadratmeter Fläche darf künftig höchstens eine Person pro 20 Quadratmeter anwesend sein. Bei kleineren Geschäften soll sich höchstens eine Person pro 10 Quadratmetern aufhalten dürfen.
Ob die Beschlüsse helfen, die zweite Corona-Welle tatsächlich zu brechen, daran darf gezweifelt werden. Die Sorge ist, dass wegen der Lockerungen über Weihnachten und Silvester und Neujahr die Infektions-Zahlen wieder deutlich nach oben gehen. »Die Ferien dürfen nicht wieder ein Rückschlag werden«, sagt Bayerns Ministerpräsident Söder.
Helfen könnte dabei möglicherweise, wenn sich die Bürger am Silvesterverhalten des CSU-Chefs ein Beispiel nehmen und nicht alkoholisiert auf die Straße gegen würden. Er sei zum Jahreswechsel immer drinnen bei seinen Hunden, erzählt Söder. »Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal eine Rakete gezündet habe. Also außer politisch.«
Aus Pandemie-Sicht wäre das jedenfalls unbedenklich.
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