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Corona-Aktivisten: Warum die Bundestagsstörer für die AfD zur Unzeit kommen - WELT

In der AfD-Fraktion begann schon am Mittwoch das Rätselraten. Wer hatte die Störer in den Reichstag gelassen? Als die Debatte zum umstrittenen Infektionsschutzgesetz noch lief, marschierten als „Gäste“ akkreditierte Aktivisten durch den Reichstag und bedrängten Abgeordnete. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wurde am Aufzug von einer Aktivistin gefilmt und beleidigt.

Auch die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel wurde nach WELT-Informationen angesprochen. „Ich habe mich gewundert“, sagt ein AfD-Abgeordneter, der die Personen schon mittags im Gebäude gesehen haben will. Ihm sei nicht klar gewesen, wer ihnen Zutritt verschafft habe. „Ich dachte, Gäste seien an diesem Tag gar nicht zugelassen.“

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Ein Problem für die Fraktion: Denn wie sich am Donnerstag herauskristallisierte, waren die Personen auf Einladung der AfD-Abgeordneten Udo Hemmelgarn und Petr Bystron in den Bundestag gelangt. Auch der Abgeordnete Hansjörg Müller habe Besucher eingeladen, meldete die Nachrichtenagentur dpa und nannte die Bundestagspolizei als Quelle. Ohne Begleitung der Parlamentarier streunten die Aktivisten durch den Reichstag – während draußen eine aufgebrachte Menge gegen die Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes demonstrierte.

Die Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland distanzierten sich von den Geschehnissen – hier zu sehen am Mittwoch mit Parteichef Tino Chrupalla (rechts)
Die Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland distanzierten sich von den Geschehnissen – hier zu sehen am Mittwoch mit Parteichef Tino Chrupalla (rechts)
Quelle: dpa

Das wirft Fragen in der Fraktion auf, schließlich hatte AfD-Fraktionschefin Weidel in der Vergangenheit noch scharf vor „Missbrauch des Reichstags“ durch Greenpeace-Aktivisten gewarnt. Aber auch für den Bundestag: Wie künftig umgehen mit Besuchern, Aktivisten und offensichtlichen Störern – vor allem, wenn sie die Sicherheit von Abgeordneten gefährden?

365 Festnahmen, mindestens zehn verletzte Polizisten

Unter den Corona-Demonstranten in Berlin waren auch viele gewaltbereit. Die Bilanz: 365 Festnahmen und mindestens zehn verletzte Polizisten. Um die Demonstration aufzulösen, setzte die Polizei Wasserwerfer ein.

Quelle: WELT/ Sandra Saatmann

Die Videos, die am Mittwoch aus dem Reichstag verbreitet wurden, verschreckten nicht nur Abgeordnete: Im Livestream des YouTubers Elijah Tabere ist zu sehen, wie der Bundestagsabgeordnete Udo Hemmelgarn ihn an Polizeiabsperrungen vorbei zum Eingang eines Bundestagsgebäudes leitet. Tabere unterstützt mit seinem Kanal mit 30.000 Abonnenten den Protest gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen. Ein zweiter Stream beginnt dann wenig später direkt in Hemmelgarns Büro.

Zu sehen sind dort zwei weitere Gesichter, der frühere Banker Thorsten Schulte, der inzwischen unter dem Alias „Silberjunge“ auf YouTube Verschwörungsideologien verbreitet und als Redner auf „Querdenken“-Demonstrationen auftritt, sowie eine Mitarbeiterin eines weiteren AfD-nahen Aktivisten. Hemmelgarn bestätigte WELT die Einladung von Schulte.

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In dem Livestream, der inzwischen nicht mehr öffentlich abrufbar ist, konnten Zuschauer mehr als eine Stunde lang beobachten, wie die Gruppe durch die unterirdischen Gänge bis ins Reichstagsgebäude gelangte. Auf dem Weg dahin gesellte sich eine weitere Frau hinzu, die später durch die Beleidigung von Wirtschaftsminister Altmaier für eine Welle der Empörung sorgte. Bei der Frau handelt sich um Rebecca Sommer, die in der Vergangenheit für unterschiedliche konservative Medien tätig war und auf YouTube aus Flüchtlingslagern auf der griechischen Insel Lesbos berichtete.

In einem in sozialen Netzwerken verbreiteten Video ist zu sehen, wie sie vor einem Fahrstuhl auf Altmaier einredet, ihm sein Gewissen abspricht, und ihn, als die Fahrstuhltür zugeht, beschimpft. Im Video von Tabere war auch zu sehen, wie sie Personen mit gezücktem Handy nach ihrem Abstimmungsverhalten befragt. Darunter ist der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter. Auch der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle hatte sich über die Belästigung beschwert. Der AfD-Abgeordnete Petr Bystron bestätigte, dass sein Büro Sommer kurzfristig auf Bitte eines Fraktionskollegen auf die Gästeliste gesetzt hatte. Zuerst hatte „Zeit Online“ darüber berichtet.

Zuvor waren die Besuchsregelungen verschärft worden

Eigentlich gilt: Abgeordnete dürfen bis zu sechs Besucher mit in den Bundestag bringen. Sie müssen sie aber während des Aufenthalts im Haus begleiten. Für die Debatte am Mittwoch waren die Vorgaben verschärft worden: Die Personalien der Gäste mussten angegeben werden. Nur so war es der Bundestagsverwaltung am Donnerstag überhaupt möglich, die Personen so schnell zu identifizieren. Bei einer Sitzung des Ältestenrats wurden die Abgeordneten laut der SPD auch darüber informiert, dass einer der Aktivisten im Vorfeld eine „Gefährderansprache“ durch die Bundestagspolizei erhalten habe. Dass es Probleme mit den fraglichen Personen geben könnte, war also bekannt.

Die AfD-Fraktionschefs Alexander Gauland und Alice Weidel distanzierten sich am Donnerstag von dem Verhalten. „Wir bedauern das inakzeptable Verhalten“, teilten sie mit. Gauland schränkte in einem späteren Pressestatement ein, dass die Abgeordneten keine Schuld treffe. Wenn überhaupt, seien sie dafür verantwortlich gewesen, die Gäste zu begleiten. Dafür, dass sie sich unrühmlich verhalten hatten, könnten die Abgeordneten aber nichts.

„Das kommt leider auch im Privatleben vor bei Gästen“

Während der Debatte über das Infektionsschutzgesetz wurden Abgeordnete auf den Gängen des Bundestags von Gegnern der Corona-Maßnahmen bedrängt. So reagieren AfD-Fraktionschef Alexander Gauland und der parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann, darauf.

Quelle: WELT

Es ist der Versuch der Fraktionsspitze, die Verantwortung für das Fehlverhalten auf die Störer abzuladen. Der Vorfall kommt für die AfD zur Unzeit. Eigentlich wollte die Fraktion die Debatte über das Infektionsschutzgesetz – das sie als „größte Grundrechtseinschränkung der Geschichte der Bundesrepublik“ bewertet – in den Mittelpunkt der Berichterstattung stellen Am Donnerstag nun aber drehte sich die politische Debatte über die Sicherheit des Reichstags – und die fragwürdige Rolle der AfD.

Die AfD-Fraktion habe eine „hässliche Fratze“ gezeigt, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, nach der Sitzung des Ältestenrats. Zwei Abgeordnete der AfD hätten „Corona-Leugner eingeschleust“, die polizeibekannt gewesen seien. Die „Bedrängung von Abgeordneten“ sei eine Grenzüberschreitung und möglicherweise strafrechtlich relevant. Die Fraktion werde nun alle Vorfälle sammeln und der Staatsanwaltschaft übergeben.

„Kollegen sind physisch massiv genötigt worden“

Die AfD steht unter Verdacht, „Querdenken“-Demonstranten in den Reichtstag geschleust zu haben. Mehrere Abgeordnete, darunter auch FDP-Vize Wolfgang Kubicki, geraten mit ihnen aneinander. Für die AfD-Politiker könnte das nun strafrechtliche Konsequenzen haben.

Quelle: WELT

Auch die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, bezeichnete die Ereignisse als „gravierend“. Die von der AfD eingeschleusten Personen hätten „offensichtlich die freie Mandatsausübung der Abgeordneten und damit die Funktionsfähigkeit unseres Parlaments“ stören wollen. Damit greife man die Demokratie an. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, sagte: „Die AfD missbraucht den Bundestag als Bühne, um Parlamentarismus und liberale Demokratie verächtlich zu machen.“ Es sei ihr „ein strategisches Anliegen, unsere demokratischen Institutionen funktionsuntüchtig zu machen“.

Dabei ist es nicht das erste Mal, dass versucht wird, Abgeordnete im Reichstagsgebäude zu beeinflussen. Schon im Sommer hatten Aktivisten den Reichstag als Bühne für ihre Anliegen genutzt. Als die Parlamentarier Anfang Juli über die Aufhebung der Schuldenbremse für den zweiten Nachtragshaushalt debattierten, gelang Klimaaktivisten der Zugang bis in die sogenannte Westlobby vor dem Plenarsaal. Dort warfen sie Flugblätter in die Luft. Auf Fotos ist Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu sehen, wie sie sich, offenbar überrascht, den Aktivisten zudreht.

Überraschte Kanzlerin: Klimaaktivisten bei der Aktion Anfang Juli
Überraschte Kanzlerin: Klimaaktivisten bei der Aktion Anfang Juli
Quelle: pa/dpa/Kay Nietfeld

Ebenfalls im Juli kletterten Greenpeace-Aktivisten auf das Reichstagsgebäude, um direkt unter dem Schriftzug „Dem deutschen Volke“ ein Transparent mit der Aufschrift „Eine Zukunft ohne Kohlekraft“ auszurollen. Laut Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) geschah dies mit Unterstützung von Parlamentariern. „Es gab Abgeordnete des Deutschen Bundestages, die dazu beigetragen haben, dass Greenpeace sein Equipment in den Bundestag schaffen konnte“, sagte Kubicki im September WELT. „Sie haben es eingeschleust. Auch Mitgliedern von Extinction Rebellion sei Zugang verschafft worden. „Sie kamen fast bis an die Bundeskanzlerin ran.“

Auf Nachfrage teilte das Büro von Kubicki am Donnerstag mit, dass die Vorfälle Konsequenzen hatten: „Gegen die ‚Störer’ wurden Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet“, sagte Kubickis Büroleiter Klaus Weber. „Die betroffenen Abgeordneten wurden ermahnt.“ Ende August gelang es Demonstranten, bis zur Reichstagstreppe vorzudringen. Dort wedelten sie mit Reichstagsflaggen. Auf Videos ist zu sehen, wie es zu Rangeleien mit Polizeibeamten kam. Damals wurden Forderungen nach einer Überarbeitung des Sicherheitskonzepts laut, wovon der Ältestenrat aber zunächst absah.

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Nun aber gibt es erneut Forderungen nach Konsequenzen. Der Bundestag prüfe strafrechtliche Konsequenzen gegen die beteiligten AfD-Abgeordneten, vermeldete die dpa. Dies könne nach einer Aufhebung ihrer Immunität Ermittlungsverfahren zur Folge haben. Auch Überlegungen zu neuen Sicherheitsvorkehrungen werden laut. Es sei zu überlegen, ob es nicht eine grundsätzliche Registrierpflicht für Besucher geben müsse, heißt es von einem Abgeordneten der AfD. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sei aufgefordert, Vorschläge einzubringen, heißt es von den Sozialdemokraten. Die Fraktion hat für Freitag eine Aktuelle Stunde anberaumt.

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