Die Sache ist dringend. Das sollte wohl schon durch die kurzfristige Ankündigung zum Ausdruck kommen. Um 8.01 Uhr am Montagmorgen verschickte die Bundespressekonferenz die Einladung zum Auftritt der Kanzlerin knapp sechs Stunden später an gleicher Stelle. Solche Solotermine vor der versammelten Hauptstadtpresse dosiert Angela Merkel für gewöhnlich sehr sparsam. Normalerweise kommt sie nur einmal im Jahr hierher, zu ihrer sogenannten Sommerpressekonferenz.
Aber die Zeiten sind nicht normal, und dieser Montag ist kein gewöhnlicher Tag.
Merkel wird das im Laufe ihres Auftritts in ihrer mitunter etwas sperrigen Sprache so ausdrücken: "Das ist nicht irgendwie ein Klein-Ereignis." Mit Sicherheit nicht. An diesem Montag geht das Land schon zum zweiten Mal in diesem Jahr in einen Shutdown. Zumindest teilweise wird das öffentliche Leben im Kampf gegen die rasante Ausbreitung des Coronavirus wieder heruntergefahren. Was die Menschen binnen acht Monaten erneut schultern müssen, hat die Republik in ihrem über 70-jährigen Bestehen zuvor nicht ein einziges Mal erlebt.
Also eigentlich kein Wunder, dass die CDU-Politikerin zu diesem historischen Datum noch mal ein paar Dinge klarstellen will, klarstellen muss.
Dabei ist Merkel rein demoskopisch gesehen eigentlich in einer komfortablen Lage: Die Stimmung in der Bevölkerung ist stabil, die große Mehrheit der Bürger steht aktuellen Umfragen zufolge weiter hinter der Corona-Politik von Bund und Ländern, auch nach den Beschlüssen von vergangenem Mittwoch. Merkels persönliche Popularitätswerte sind hoch.
Nur: Wie nachhaltig ist das?
Sie könne ja den "Unmut und Unwillen verstehen", der schon jetzt da sei, sagt Merkel. Und Unmut und Unwillen, das ist ihr bewusst, dürften größer werden. Denn die neuen Beschränkungen gelten erst seit diesem Montag, in ihrer ganzen Tragweite werden sie also erst in den kommenden Tagen spürbar für die Menschen im Land. Der Hinweis, den auch die Kanzlerin in ihrer Pressekonferenz bemüht, wonach manche Nachbarländer in einem echten Lockdown sind, dort also noch viel drastischere Maßnahmen ergriffen werden, hilft da nur bedingt.
Merkel: Noch kein Licht am Ende des Tunnels
Im ohnehin oft schon tristen November wird das Leben in Deutschland noch trister für die Menschen. Merkel selbst räumt ein: "Das Licht am Ende des Tunnels ist noch weit entfernt."
Für die Kanzlerin bedeutet das: Sie muss sich in diesen Tagen mehr anstrengen, das Vorgehen der Politik zu erläutern, zu erklären und zu begründen. Da das nicht unbedingt die Lieblingsdisziplin Merkels ist, macht es die Sache umso anstrengender für sie.
Mittwoch Pressekonferenz mit den Ministerpräsidenten, Donnerstag Regierungserklärung im Bundestag, nun noch einmal eine öffentliche Erklärstunde - für Merkels Verhältnisse ist das geradezu inflationär. Aber viel hilft nicht immer viel. Die Kanzlerin darf nicht übertreiben. Eine erneute TV-Ansprache, wie zu Beginn des erstens Shutdowns im Frühjahr, könnte die Bürger möglicherweise mehr verunsichern, als sie sie sensibilisiert. Zudem: Vielleicht braucht Merkel ja noch Steigerungsmöglichkeiten, für den Fall, dass die Lage noch dramatischer wird – die eine Rede an die Nation zur besten Sendezeit sozusagen als letztes kommunikatives Mittel.
Die knapp 80 Minuten in der Bundespressekonferenz nutzt Merkel einmal mehr für die eindringliche Warnung, dass man in den Krankenhäusern "auf eine akute Notlage" zulaufe. Daraus ergeben sich für die Kanzlerin die nötigen Schritte quasi zwangsläufig.
Von Alternativlosigkeit, wie Merkel in zurückliegenden Krisen die von ihr gewählten politischen Mittel begründete, spricht sie auch an diesem Montag nicht explizit. Aber implizit läuft es genau darauf hinaus. "Das Virus bestraft Halbherzigkeit", sagt sie, angesichts der kaum mehr nachzuverfolgenden Kontakte von Corona-Infizierten müsse man "für die Gesamtheit eine Reduktion hinbekommen".
Eine versteckte gute Botschaft ist auch dabei
Das sei zweifellos hart, räumt die Kanzlerin ein, auch mit Blick auf die vielen betroffenen Branchen, und es bedeute für fast alle "vier Wochen Verzicht auf vieles, was das Leben schön macht". Für den Zeitraum danach wolle sie "nicht spekulieren", sagt Merkel, was eben auch heißt, dass es mit dem November-Shutdown nicht getan sein könnte. Aber, und das könnte man dann doch als versteckte gute Nachricht dieses Nachmittags verstehen: "Wir werden politisch alles versuchen, dass es auf den November beschränkt bleibt."
Dafür aber müssten sich die Deutschen an die Maßnahmen halten. Die Politik sei "auf das Verständnis und die Akzeptanz angewiesen". Darum wirbt die Kanzlerin sehr eindringlich zu Beginn dieser historischen Woche.
Die Frage ist: Dringt sie, dringen die Ministerpräsidenten damit noch durch?
Der nordrhein-westfälische Regierungschef Armin Laschet hat zum Beginn des zweiten Shutdowns ein Social-Media-Filmchen produzieren lassen, in dem er ebenfalls um Akzeptanz für die Maßnahmen wirbt, einen offenen Brief verfasst, ganze Zeitungsseiten mit entsprechenden Anzeigen bestückt, am Morgen ließ der CDU-Politiker sich eine ganze Stunde im WDR-Radio von Bürgern befragen. Seine zentrale Botschaft: "Bleiben Sie zu Hause!"
Aber was, wenn nicht?
Der Kanzlerin bliebe kommunikativ noch ihr letzter Joker: die Fernsehansprache. Aber dann müsste es richtig düster aussehen im Land. Und dann wären die November-Maßnahmen wohl erst der Beginn eines wirklich finsteren Corona-Winters.
"Jeder und jede hat es in der Hand, diesen November zu unserem gemeinsamen Erfolg zu machen, zu einem Wendepunkt wieder zurück zu einer Verfolgbarkeit der Pandemie", sagt Merkel an diesem Nachmittag.
An Deutlichkeit lässt das nichts vermissen. Mehr kann sie vorerst wohl nicht mehr tun.
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